Die Jennings‘ Germans – eine australische Erfolgsgeschichte

Canberra – Als Karl Cloos am 8. Oktober 1951 in Bremerhaven an Bord der „Skaubryn“ ging, dem Schiff, das ihn nach Australien bringen sollte, wusste er noch nicht, dass er seine Heimat Deutschland für immer verlassen würde. Eigentlich wollte der damals 23-jährige Zimmermannsgeselle aus dem badischen Biberach nur für zwei Jahre auf den Fünften Kontinent. Dort wollte er genug Geld verdienen, damit er sein Studium an der staatlichen Bauschule in Stuttgart fortsetzen konnte.

In der Zeitung hatte er die Anzeige der australischen Baufirma A. V. Jennings gelesen, die deutsche Zimmerleute für ein Bauprojekt in Canberra suchte. Jennings hatte von der Regierung den Auftrag erhalten, 1800 Häuser in der noch jungen Hauptstadt zu bauen. Doch Fachkräfte waren Mangelware und so hatte Firmenchef Sir Albert Jennings die Idee, diese in Deutschland zu suchen. 2500 Bewerber meldeten sich, doch nur 150 wurden in einem strengen Verfahren ausgewählt, darunter Karl Cloos.

Vier Wochen auf hoher See

Nach vier Wochen auf Hoher See erreichte er zusammen mit 11 Gefährten Melbourne. Sie waren die ersten Deutschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg nach Australien einreisen durften. Insgesamt kamen die „Jennings’ Germans“ zwischen Oktober 1951 und Februar 1952 auf fünf Schiffen nach Australien, neben der „Skaubryn“ auf der „Napoli“, der „Castel Bianco“, der „Nelly“ und der „Anna Salen“.

Am vorvergangenen Samstag feierten die Jennings’ Germans im deutschen Harmonie Club in Canberra nun das 55. Jubiläum ihrer Ankunft in Australien. 28 von ihnen leben noch heute in Canberra und Umgebung, 20 in anderen Orten Australiens, 16 der Jennings’ Germans leben in Deutschland. 61 ihrer früheren Kameraden konnten dieses Jubiläum leider nicht mehr miterleben. Doch inzwischen haben viele ihre Familien mitgebracht, die sie in Australien gegründet haben. So konnte Klaus Scharrer, der das Treffen organisiert hatte um die 100 Gäste begrüßen. Der Älteste unter ihnen, Adolf Kuhn, ist bereits 96 Jahre alt. Scharrer würdigte die Verdienste von Alfons Stütz, der die regelmäßigen Treffen der Jennings’ Germans in den vergangenen 35 Jahren organisiert hatte.

Als Ehrengäste erwiesen der deutsche Botschafter Martin Lutz und Gary Humphries, Senator für das ACT, den Immigranten die Ehre. Der Botschafter würdigte sowohl die Aufbauarbeit der jungen deutschen Zimmerleute als auch den Beitrag, den sie nach dem Zweiten Weltkrieg geleistet haben, das Bild der Deutschen wieder in eine richtige Perspektive zu rücken. „Ihrem Einsatz für eine Verbesserung und schließlich Normalisierung der Beziehungen zwischen Australiern und Deutschen gebührt großen Respekt“, sagte Lutz.

Senator Humphries würdigte den Beitrag, den die Deutschen beim Aufbau von Canberra geleistet haben. „Die Jennings’ Germans und ihre Nachkommen sind in jeden Aspekt des australischen Lebens Eingebunden und haben einen entscheidenden Beitrag zum Erfolg von Canberra und, in der Tat, auch unserer Nation geleistet“, so Humphries. Auch der Minister für Einwanderung und Staatsbürgerschaft, Kevin Andrews, und Jon Stanhope, Chief Minister des ACT, übermittelten ihre Grüße.

Das gemeinsame Wiedersehen in Canberra war für die Jennings’ Germans auch ein Anlass, sich an die Zeit ihrer Ankunft in Australien zu erinnern. Damals waren die ersten Eindrücke für die jungen Deutschen überwältigend. Josef Reicheneder aus München erinnert sich an die Stadtrundfahrt durch Melbourne, die von Jennings organisiert wurde. „Ich  dachte, wie schön muss erst die Hauptstadt sein“, sagt er. Doch die Ankunft in Canberra war ernüchternd: „Die erste Begegnung in Canberra machten wir mit Millionen von Fliegen“, erinnert sich Reicheneder. Die Hauptstadt hatte damals gerade einmal 13.000 Einwohner und die deutschen Zimmerleute wurden in Hostels aus Holzbaracken untergebracht. „Es war alles komplett anders, als wir es uns vorgestellt hatten“, erzählt auch Karl Cloos.

Auch die Arbeit in Canberra bedeutete für die Gastarbeiter eine große Umstellung. Die Deutschen waren gewohnt, mit weichem Holz zu arbeiten und deshalb hatten sie Probleme mit den harten australischen Holzsorten“, erinnert sich Jack Sparkes, damals Vorarbeiter bei Jennings. Sparkes war sehr überrascht, als er erfuhr, dass die Deutschen kommen sollten. Er übernahm schließlich eine Gruppe von etwa 20 Arbeitern. Probleme bereitete zunächst auch die Sprache, oft musste man sich mit Hilfe von Zeichensprache verständigen. Die Deutschen, die wie Karl Cloos ein wenig Englisch sprachen, stiegen schnell zu Vorarbeitern auf. „Um die Sprache zu lernen, schrieben sie die deutschen und die englischen Wörter nebeneinander auf Holztafeln“, erzählt Sparkes, der damals mit 23 Jahren selbst nicht älter war als die Deutschen. Schließlich erhielten die Jennings’ Germans Englischunterricht in der Schule, was auch eine gute Gelegenheit war, neue Kontakte zu knüpfen. „Es dauerte nicht lange bis wir mit den Lehrern auf gutem Fuße standen“, berichtet Josef Reicheneder.

Das war nicht selbstverständlich, denn so kurz nach dem Krieg hatten die Deutschen auch gegen Vorurteile zu kämpfen. Viele Australier hielten alle Deutschen für Nazis. „Einige waren sehr böse auf uns“, sagt Karl Cloos. Aber es gab auch Ausnahmen: „Sonntags sind einige Australier zum Hostel gekommen und fragten: ‚Wo sind die Deutschen’. Sie haben mit uns eine Spazierfahrt unternommen und uns abends zum Essen eingeladen.“

Durch die gute Arbeit, die sie leisteten, und soziales Engagement in ihrer Freizeit erhielten die Jennings’ Germans bald Vertrauen und Anerkennung bei den Einheimischen. Sie gründeten zum Beispiel einen Judo-Club und eine deutsche Band, die bei öffentlichen Feierlichkeiten kostenlos spielte. Einige Hürden hatten die jungen Männer auch in anderer Hinsicht zu überwinden. Samstagabends ging es oft zur Albert Hall zum Tanzen, aber die australischen Mädchen waren anfangs sehr abweisend.

Doch auch das änderte sich bald. Jean Kiermaier war eine der ersten, die 1954 einen der Jennings Deutschen heirateten. Sie lernte ihren Mann Max kennen, als dieser bei ihr Privatstunden in Englisch nahm. Sie selbst war kurz zuvor aus England nach Canberra gekommen und war zuvor drei Jahre in Berlin gewesen und so war es nicht allzu schwer für sie, Kontakt mit dem Deutschen aufzunehmen. Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor. Inzwischen ist ihr Mann verstorben, aber Jean Kiermaier fühlt sich noch immer mit den Jennings’ Germans verbunden. Die 85-jährige ist glücklich mit der Familie, die sie mit Max gegründet hat und inzwischen Großmutter von sechs Enkeln.

Auch nachdem der Vertrag mit Jennings nach zwei Jahren abgelaufen war sind die meisten der 150 Zimmerleute in Australien geblieben. Viele von ihnen fanden Arbeit in den Snowy Mountains, so auch Karl Cloos. Nach drei Jahren in Australien hat er sich entschieden, hier zu bleiben. „Ich hatte gesehen, dass das Leben hier erfüllend ist“, sagt der heute 79-jährige. Außerdem hatte er genug verdient, um sich eine Existenz aufzubauen und eine Familie zu gründen. Heimweh nach Deutschland hat er nur selten empfunden, mit einer Ausnahme: „Nur manchmal an Weihnachten“, erklärt Cloos. „Das ist ein ganz anderes Gefühl als in Deutschland.“ Und schließlich ist er seitdem viele Male in Deutschland gewesen und hat noch engen Kontakt zu seiner Familie und alten Freunden.

Gesicht von Canberra entscheidend geprägt

Die Geschichte der Jennings’ Germans ist eine australische Erfolgsgeschichte. Viele von ihnen haben in diesem Land viel erreicht. Die meisten sind dem Baugewerbe treu geblieben. Einige, wie Carl Cloos, haben weiter lange Jahre für Jennings gearbeitet, andere haben ihre eigene Firma gegründet. Wieder andere sind auf der Suche nach Arbeit weit herum gekommen, auch Josef Reichender. Nach dem Job in Canberra war er zunächst in Brisbane, dann in Sydney.

Darauf arbeitete er für die deutsche Firma Hochtief an einen Auftrag der Hydro Electric Commission in Tasmanien, dann wieder in den Snowys. Er kehrte nach Deutschland zurück, doch nach einigen Monaten merkte er, dass es ihm in Australien besser gefällt. Zusammen mit seiner künftigen Frau Kriemhild kehrte er nach Canberra zurück und machte schließlich Karriere in der Bauaufsichtsbehörde. Das letzte von ihm betreute Objekt war der Telecommunication Tower auf dem Black Mountain.

Die deutschen Arbeiter haben das Gesicht der australischen Hauptstadt entscheidend geprägt. Einer von ihnen, der inzwischen verstorbene Heiner Vierling, war sogar Konstruktionsleiter beim Bau des neuen Parliament House auf dem Capital Hill, demselben Hügel, auf dem einst das Capital Hill Hostel und das Hillside Hostel standen, in denen die Jennings’ Germans damals ihr erstes Quartier in Australien, ihrer neuen Heimat, bezogen.

Tobias Birzer